Die Welt der Formel 1 ist voller Geschichten von Triumph und Tragödie, von bahnbrechenden Innovationen und vergessenen Projekten. Eine dieser weniger bekannten, aber faszinierenden Erzählungen dreht sich um die ehrgeizigen Pläne von Reynard, in die Königsklasse des Motorsports einzusteigen, und die überraschenden Auswirkungen, die diese Bestrebungen auf zwei völlig unterschiedliche Teams hatten: Benetton, das zum Weltmeistertitel fuhr, und Pacific, das ums Überleben kämpfte. Im Zentrum dieser Geschichte steht ein gemeinsamer Ursprung – ein Reynard-Design aus dem Jahr 1991, das die Grundlage für den erfolgreichen Benetton B194 und den glücklosen Pacific PR01 bildete.
Reynards ambitionierter F1-Traum
Hinter den Kulissen kursierten bereits Gerüchte über Adrian Reynards Bestrebungen, ein eigenes Formel-1-Auto zu entwickeln. Im Jahr 1991 machte das Team Reynard seine Pläne offiziell und präsentierte der Öffentlichkeit ein Windkanalmodell ihres Designs, mit dem Ziel, 1992 in die Formel 1 einzusteigen. Das Team hinter diesem Projekt war hochkarätig besetzt: Willem Toet agierte als Direktor, während Rory Byrne und Pat Symonds das Designteam bildeten, das am Imperial College in London arbeitete. Adrian Reynard selbst erwähnte in einem Interview während des Großen Preises von Imola 1991 Gespräche mit mehreren Motorenlieferanten, darunter möglicherweise Judd, Ilmor und Ford.
Doch diese vielversprechenden Anfänge nahmen eine unerwartete Wendung. Im Laufe der Saison 1991 gab es kaum weitere Informationen über das Reynard-F1-Projekt, denn Symonds, Byrne und Toet wechselten allesamt zum Benetton-Team. Dieser Transfer sollte weitreichende Konsequenzen haben, denn Teile von Reynards Design fanden später ihren Weg in die siegreichen Benetton B192 und B194. Reynard verkaufte die Baupläne ihres Designs auch an das Pacific-Team, das ursprünglich 1993 in die Formel 1 einsteigen wollte, aber aus finanziellen Gründen erst 1994 debütierte.
Benetton: Evolution statt Revolution
Die Ankunft des Reynard-Designteams bei Benetton markierte den Beginn einer Ära der Stabilität und des Erfolgs, die auf Rory Byrnes Philosophie der „Evolution statt Revolution“ basierte.
Benetton B192: Der Grundstein des Erfolgs
Der Benetton B192, entworfen von Ross Brawn, Rory Byrne und Willem Toet, gab sein Debüt in der Formel-1-Saison 1992 beim Großen Preis von Spanien, nachdem das Team die ersten drei Rennen mit einem aufgerüsteten B191 bestritten hatte. Obwohl das Auto einen relativ untermotorisierten Ford HBA7 3,5-Liter-V8-Motor mit 660–680 PS nutzte, erwies es sich als äußerst wettbewerbsfähig. Sein gut durchdachtes und agiles Chassis ermöglichte es Michael Schumacher und Martin Brundle, mehrere Podiumsplätze zu erzielen. Schumacher, in seiner ersten vollständigen F1-Saison, feierte beim verregneten Großen Preis von Belgien seinen ersten Sieg, maßgeblich dank einer cleveren Boxenstrategie. Brundle verpasste beim Großen Preis von Kanada nur knapp einen Sieg aufgrund eines Getriebeproblems.
Der B192 war ein bedeutender Fortschritt für das Benetton-Team. Viele seiner Merkmale, darunter das leichte und wendige Fahrwerk, wurden in die Designs von Schumachers Titelgewinnern in den Jahren 1994 und 1995 integriert. Der Sieg in Belgien war zudem der letzte Formel-1-Sieg eines Autos mit einem konventionellen manuellen Getriebe. Das Auto besaß eine Kohlefaser-Monocoque-Chassis, Doppelquerlenker-Pushrod-Aufhängung und wog 505 kg. Es fehlten jedoch die damals aufkommenden Fahrhilfen wie aktive Federung, ABS und Traktionskontrolle.
Benetton B193: Technologischer Fortschritt und Konkurrenzfähigkeit
Für die Saison 1993 präsentierte Benetton den B193, ebenfalls entworfen von Ross Brawn und Rory Byrne. Angetrieben von einem Cosworth HBA Motor, stellte der B193 eine deutliche Verbesserung gegenüber seinem Vorgänger dar. Er zeichnete sich durch eine schmalere Spur, die Einführung von Bargeboards und eine erhöhte Nasenhöhe für einen verbesserten Luftstrom aus.
Der B193 erlaubte Michael Schumacher, die McLarens und gelegentlich sogar die überlegenen Williams FW15C herauszufordern. Er galt als das drittwettbewerbsfähigste Auto im Starterfeld. Technologisch war der B193 auf dem neuesten Stand und verfügte ab dem Großen Preis von Monaco über aktive Federung, semi-automatisches Getriebe und Traktionskontrolle. Eine Variante, der B193C, diente sogar als Testfahrzeug für ein innovatives Vierradlenkungssystem, das Schumacher als vorteilhaft empfand. Das Benetton-Team beendete die Saison auf dem dritten Platz der Konstrukteursmeisterschaft.
Benetton B194: Der Weltmeister und die Kontroversen
Der Benetton B194, entworfen von Rory Byrne für die Formel-1-Weltmeisterschaft 1994, basierte eng auf seinen Vorgängern, dem B192 und B193. Angetrieben von einem Ford Zetec-R V8-Motor, war das Auto erneut leicht und wendig, besonders effektiv auf kurvigen Strecken und in den Händen von Michael Schumacher.
Schumacher dominierte die erste Hälfte der Saison und gewann sechs der ersten sieben Rennen. Er sicherte sich schließlich die Fahrerweltmeisterschaft 1994 mit diesem Auto. Doch der B194 war auch Gegenstand erheblicher Kontroversen und Spekulationen bezüglich seiner Legalität. Andere Teams vermuteten den Einsatz elektronischer Fahrhilfen, die nach den Regeländerungen von 1994 verboten waren. Eine Untersuchung der FIA entdeckte ein Launch-Control-System im Bordcomputer des Autos, jedoch keine Traktionskontrolle. Letztendlich wurden die Beschwerden fallen gelassen, da nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Systeme während des Rennens tatsächlich genutzt wurden.
Während Schumacher mit dem B194 glänzte, empfanden seine Teamkollegen – JJ Lehto, Jos Verstappen und Johnny Herbert – das Auto als schwierig zu fahren. Sie beschrieben es als „nervös“ und anfällig für plötzliches Übersteuern. Der B194 wurde am Ende der Saison 1994 mit acht Siegen und einem zweiten Platz in der Konstrukteursmeisterschaft außer Dienst gestellt.
Die ungleiche Verwandtschaft: Benetton B194 und Pacific PR01
Der Reynard-Entwurf diente als gemeinsamer Vorfahre für den Benetton B194 und den Pacific PR01, obwohl diese beiden Fahrzeuge in der Formel-1-Saison 1994 zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führten. Der Pacific PR01, der kein einziges Rennen beendete, und der Meisterschaftsgewinner Benetton B194, der acht Grand-Prix-Siege einfuhr, stammten beide aus demselben Designentwurf von 1991.
Das Reynard-Design wurde von zwei Teams übernommen: Pacific, das eigentlich 1993 in die Formel 1 einsteigen wollte, aber aufgrund finanzieller Schwierigkeiten erst 1994 debütierte, und Benetton, wo Rory Byrne, Pat Symmonds und Willem Toet das Design weiterentwickelten.
Pacific nutzte das Design, um ihren PR01 zu bauen, unternahm jedoch keine entscheidende aerodynamische Entwicklung oder verfügte über das Wissen, es zu aktualisieren. Dies, zusammen mit begrenzten Mitteln, führte dazu, dass Pacific im Grunde ein drei Jahre altes Auto in der Saison 1994 einsetzte, angetrieben von einem veralteten Ilmor V10-Motor. Der PR01, entworfen von Paul Brown, basierte stark auf Reynards unveröffentlichtem Auto von 1992, mit einigen „Best Guess“-Aerodynamik-Verfeinerungen durch Pacific aufgrund fehlender Windkanaltests.
Der PR01 hatte während der gesamten Saison 1994 erhebliche Schwierigkeiten und scheiterte oft an der Qualifikation für die Rennen. Er erreichte nur sieben Mal die Startaufstellung und beendete kein einziges Rennen. Geplante größere Modifikationen nach der Imola-Tragödie wurden nie umgesetzt, es gab lediglich kleinere Anpassungen an der Aufhängung und die Einführung einer niedrigen Nase. Das Team erwog aufgrund seiner Schwierigkeiten, sich aus der Meisterschaft zurückzuziehen, entschied sich aber dagegen, um eine erhebliche Geldstrafe zu vermeiden.
Im Gegensatz dazu hatte Benetton Teile des Reynard-Designs in ihr B192-Auto integriert und es später zum B194 weiterentwickelt, der unter Michael Schumacher die Weltmeisterschaft gewann. Die Geschichte von Reynard und seinen Nachfolgern in Form der Benetton-Fahrzeuge und des Pacific PR01 ist ein prägnantes Beispiel dafür, wie ein vielversprechendes Design unterschiedliche Wege nehmen kann, abhängig von den Ressourcen, dem Talent und der Innovationskraft der Teams, die es nutzen. Was für das eine Team die Grundlage für eine Meisterschaft bildete, wurde für das andere zu einem Symbol für verpasste Gelegenheiten und den harten Kampf ums Überleben in der Formel 1.
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