Die Geschichte der Formel 1 ist reich an außergewöhnlichen Charakteren und bemerkenswerten Lebensläufen. Doch kaum eine Biografie ist so einzigartig und faszinierend wie die des Schweden Karl Edward Tommy „Slim“ Borgudd. Er war ein Mann, der in zwei völlig unterschiedlichen Welten auf höchstem Niveau agierte: als gefragter Session-Schlagzeuger für die Pop-Superstars von ABBA und als Rennfahrer in der Königsklasse des Motorsports. Seine Formel-1-Karriere war kurz und seine Erfolge waren auf dem Papier bescheiden, doch die Geschichte, wie er es überhaupt ins Cockpit schaffte und seinen denkwürdigen WM-Punkt holte, ist ein unvergessliches Kapitel der Renngeschichte.
Die frühen Jahre: Der Rhythmus von Musik und Motoren
Geboren 1946 in Stockholm, entwickelte Borgudd schon früh zwei Leidenschaften, die sein Leben prägen sollten. Die erste war die Musik. Als talentierter Schlagzeuger machte er sich in der schwedischen Musikszene schnell einen Namen. Sein präzises und kraftvolles Spiel machte ihn zu einem gefragten Musiker für Studioaufnahmen und Tourneen. Er spielte mit Jazz-Größen wie Quincy Jones und war Teil der schwedischen Rock-Szene. Seine berühmteste Zusammenarbeit war jedoch zweifellos die mit ABBA. Borgudd war einer der Session-Musiker, die den legendären Sound der Band mitprägten und auf einigen ihrer Aufnahmen zu hören sind.
Parallel zur Musik schlug sein Herz für den Motorsport. Er begann in den 1960er Jahren mit dem Rennfahren, zunächst in kleineren nationalen Serien. Mit dem Geld, das er als Musiker verdiente, finanzierte er seine Rennsport-Ambitionen. Er durchlief die klassischen Nachwuchsklassen wie die Formel Ford und die Formel 3, wo er sein unbestreitbares Talent unter Beweis stellte und 1979 sogar die schwedische Formel-3-Meisterschaft gewann. Doch der Sprung in die Formel 1, die teuerste und prestigeträchtigste Rennserie der Welt, schien für einen Privatfahrer ohne massive Sponsorengelder ein unerreichbarer Traum zu sein.
Der Sprung in die Formel 1: Das ATS-Abenteuer mit ABBA-Logo
Der entscheidende Wendepunkt kam 1981. Borgudd gelang es, ein Cockpit beim kleinen deutschen Team ATS (Auto Technisches Spezialzubehör) unter der Leitung von Günter Schmid zu ergattern. Doch wie finanzierte er dieses Abenteuer? Hier kam seine Verbindung zu ABBA ins Spiel, wenn auch auf eine oft missverstandene Weise. Entgegen der landläufigen Meinung war ABBA kein direkter Sponsor. Vielmehr nutzte Borgudd seine freundschaftliche Beziehung zu den Bandmitgliedern Björn Ulvaeus und Benny Andersson. Sie erlaubten ihm, das ikonische ABBA-Logo prominent auf den Seitenkästen seines ATS D4 zu platzieren. Die Idee war genial: Das weltberühmte Logo sollte als eine Art Köder dienen, um die Aufmerksamkeit finanzkräftiger Sponsoren zu erregen.
Die Saison 1981 war ein harter Kampf. Das ATS-Team verfügte nur über ein minimales Budget, und der Wagen war der Konkurrenz von Teams wie Ferrari, Williams oder Brabham deutlich unterlegen. In einer Zeit, in der die Starterfelder oft so groß waren, dass sich nicht alle Fahrer für das Rennen qualifizieren konnten, scheiterte Borgudd mehrfach an der Vorqualifikation oder der Qualifikation. Doch er gab nicht auf und bewies seine Kämpferqualitäten.
Der Höhepunkt seiner Karriere und ein magischer Moment für das gesamte Team ereignete sich beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone. In einem von zahlreichen Ausfällen geprägten Zermürbungsrennen behielt Borgudd einen kühlen Kopf. Er fuhr ein fehlerfreies und konstantes Rennen und brachte seinen unterlegenen ATS über die Ziellinie – auf einem sensationellen sechsten Platz. In der damaligen Punktevergabe, bei der nur die ersten sechs Fahrer Zähler erhielten, war dies gleichbedeutend mit seinem ersten und einzigen Weltmeisterschaftspunkt. Für ein Team wie ATS war dieser Erfolg so viel wert wie ein Sieg für die Top-Teams. Mit diesem Punkt beendete er die Saison auf dem 18. Platz der Fahrerwertung.
Ein kurzes Intermezzo bei Tyrrell und das Ende der F1-Karriere
Sein Achtungserfolg blieb nicht unbemerkt. Für die Saison 1982 erhielt er einen Vertrag beim traditionsreichen und weitaus etablierteren Tyrrell-Team. Dies schien die große Chance zu sein, sein Talent in einem konkurrenzfähigeren Umfeld zu beweisen. Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Borgudd konnte in den ersten drei Rennen der Saison keine Punkte holen und wurde anschließend, auch aufgrund von Sponsorenschwierigkeiten, durch den aufstrebenden Brian Henton ersetzt. Das abrupte Ende bei Tyrrell markierte gleichzeitig das Ende seiner kurzen, aber ereignisreichen Formel-1-Laufbahn nach nur 10 Rennstarts.
Nach der Formel 1: Ein Champion auf vier riesigen Rädern
Auch wenn die Tür zur Formel 1 für immer geschlossen war, war Borgudds Rennkarriere noch lange nicht vorbei. Er fand eine neue Heimat und eine neue Erfolgsgeschichte im Truck Racing. In diesen spektakulären Rennen mit tonnenschweren Renntrucks konnte er sein fahrerisches Können voll ausspielen. Er wurde zu einer dominanten Figur in der European Truck Racing Championship und sicherte sich mehrfach den Meistertitel, unter anderem im Jahr 1995. Hier bewies er endgültig, dass er ein vielseitiger und erfolgreicher Rennfahrer war, dessen Talent weit über diesen einen Formel-1-Punkt hinausging.
Das Vermächtnis
Slim Borgudd verstarb im Februar 2023 im Alter von 76 Jahren. Sein Vermächtnis ist einzigartig. Er wird nicht wegen großer Siege oder Weltmeistertitel in Erinnerung bleiben, sondern wegen seiner unglaublichen Geschichte. Er ist das Symbol einer Ära, in der es für einen passionierten und talentierten Fahrer mit unkonventionellen Mitteln noch möglich war, den Traum von der Formel 1 zu verwirklichen. Die Bilder seines ATS-Rennwagens mit dem ABBA-Logo sind heute ikonisch und erzählen die Geschichte eines Mannes, der den Rhythmus nicht nur am Schlagzeug, sondern auch am Limit auf der Rennstrecke fand.
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